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Abschied (2)

„… doch seine Geschichte ist eine andere. Habe ich Ihnen schon erzählt, wie still und leise man mit ihm trinken konnte? Und ich will Ihnen auch nicht verschweigen, dass aus ihm selbstverständlich etwas geworden ist. Denn das ist eine Geschichte, und in Geschichten wird man etwas.

Er könnte zum Beispiel nach seiner Lehre – vier Jahre – die Matura nachgeholt haben, in einem katholischen Internat, er könnte eine Leidenschaft für die uralten Bücher in Pergament entwickelt und dabei an seine Tante gedacht haben, die blinde. Er könnte Fussballschiedsrichter geworden sein, ein Spiel zwischen Real Madrid und dem Hamburger Sportverein geleitet haben, für ein umstrittenes Tor in die Schlagzeilen gekommen sein, oder er könnte nach seiner Lehre nichts anderes mehr getan haben als Fremdsprachen gelernt, Albanisch und Kurdisch und Aramäisch, Haussa und Altslawisch, Gälisch und Katalanisch – Französisch nicht.

Doch seine Geschichte ist das nicht. Es ist meine Geschichte, ich habe ihn überlebt, und ich sitze jetzt allein in der Kneipe und vermisse in der Stille und im Lärm seine Stille.

Was aus ihm geworden ist? Ein toter Mann, und ich stand an seinem Grab und dachte mir, da unten liegt es, sein Albanisch und sein Gälisch. Da unten liegt sie, seine Stille, und vermodert.“ Peter Bichsel, „Hugo“ aus: „Zur Stadt Paris“.

Hier unten das Tagesgespräch mit Caroline Arn vom 17.3. zum Nachhören, wer mag.